Wohlsein
In Sachsen-Anhalt geht derweil alles seinen beschaulichen Gang. Der amüsierte Blick der politischen Öffentlichkeit richtet sich auf den Stadtrat der Stadt Staßfurt. Dort wird nämlich während (!) der Stadtratssitzung ordentlich dem Alkohol zu gesprochen. Nachvollziehbarer Weise wurden bedenken erhoben, ob Stadträte, denen man am Sitzungsende die Fahrzeugschlüssel nicht mehr aushändigen darf, zuvor noch über die örtliche Verkehrsgestaltung befinden sollten. Versuche dem ehrenamtlichen Teil der Staßfurter Stadtverwaltung während der Arbeitszeit die Pullen aus den verkrampften Händen zu reißen, scheiterten jedoch kläglich. Ein Jochen Meyenberg (Linke) sieht ein dringendes Erfordernis auch während der Stadtratssitzung sich Alkoholitäten einzuflößen: "Wenn ich zum Abend ein Bier trinken will, wird man mir als Erwachsenem das wohl noch erlauben." Tja. Wer wollte ihm seine Promille verwehren? Wer würde so herzlos sein? Gerade die Entscheidung komplexer Sachverhalte und das sachliche Abwägen von unterschiedlichen Meinungen in mehrstündigen Verhandlungen, macht sich bekanntlich entschieden besser, wenn der Diskussionspartner mit hochrotem Kopf und ins Lallen drehender Stimme die Argumentationskette der (nüchternen?) hauptamtlichen Verwaltung mit einem kräftigen Proost! unterstreicht. (Ob da hin und wieder aus alter Gewohnheit auch mal ein Toast auf die Deutsch-Sowjetische-Freundschaft ausgebracht wird?) Gerade Angelegenheit der Jugendhilfe können im nüchternen Zustand doch nicht ernsthaft erwogen werden! Vielleicht wird es ja ein liebevoll gepflegter regionaler Brauch? Wieso sollten die Mitarbeiter in den Staßfurter Amtsstuben sich bei drohenden Bürgergesprächen nicht mit ausreichend Alkohol wappnen dürfen? Möglicherweise lässt sich eine unter Alkoholeinfluss zustande gekommene städtische Satzung auch nur unter Alkoholeinfluss ordnungsgemäß umsetzen? (Ist die Linke nicht ohnehin für die Legalisierung von Drogen? Sollten sich für Angestellte im öffentlichen Dienst in Staßfurt da noch ganz andere Erfahrungspotenziale eröffnen?)
Andererseits. Es gibt Gerüchte, dass weitere ehrenamtliche Funktionsträger jetzt nach dem Staßfurter Modell verfahren wollen. Wenn ersteinmal ehrenamtliche Richter in Gerichtsprozessen beherzt die Kronkorken knallen lassen und nach einem ergreifenden Gesang ("Ein Prosit der Gemütlichkeit!") den Gerichtsreporten in die Blöcke rülpsen, dass sie als Teil der Judikative im Bierkonsum der Exekutive bzw. Legislative nicht nachstehen, sollte man die Meyenbergsche Theorie doch noch einmal kritisch hinterfragen.