Samstag, März 27, 2010

Tücke des Ehrenamts

Wußten Sie schon, dass 98,53 % der Bevölkerung sich für einen Teilzeit-Ministerpräsidenten erwärmen könnten? 99,47 % würden sogar Teilzeit-Journalismus begrüßen! Trotzdem trieben die beiden Bevölkerungsgruppen - also Ministerpräsidenten und Journalisten - eine Sau beachtlicher Größe durchs Dorf. Das Teilzeitparlament. Also als Idealbild: der Zeitzer Fleischergeselle, der nach hartem Tagwerk nochmal schnell nach Magdeburg eilt, dort die Regierung und ihre Heerscharen von Mitarbeitern kontrolliert, die Richtung angibt, nach einem Schnittchenempfang der Hohenmölsener Goldschmiede-Innung dann noch einen Milliarden Landeshaushalt prüft, korrigiert und verabschiedet und sich zum Tagesabschluss von einigen alkoholisierten Nichtwählern bei Penny anpöbeln läßt.

In Ordnung. Der Alltag diverser Landtagsabgeordneter dürfte tatsächlich von einer stärker ausgeprägten Geruhsamkeit geprägt sein. Wenn man aber die Funktion eines Landtages in einem Flächenstaat ernst meint, wird man nicht umhin können den Fleischergesellen mal für fünf Jahre vom Wurtstschneiden freizustellen, um ihm ein Minimum an ernsthafter politischer Arbeit zu ermöglichen, sonst sackt ihn die hauptamtliche Verwaltung endgültig ein.(Wem das jetzt zu viel Fleisch und Wurst war: Vegi-Tag ist ja nun nicht.)

Dass Wolfgang Böhmer jegliche Denksperren abwirft - auch recht gut begründete - kann leicht auf seinen jugendlichen Übermut zurück geführt werden. Bedenklich sind allerdings sogleich herbei springende Politikwissenschaftler. Da wäre Prof. Wolfgang Renzsch zu nennen, der die Teilzeit-These famous findet (und auch gleich noch eine Direktwahl des Ministerpräsidenten vorschlägt. Auja - Typen wie Marseille endlich eine Chance!) Besonders schwierig: die journalistische Zunft, gerade auch die Volksstimme, die unreflektiert in den Freudentaumel einstimmt. Kaum zu vernehmen (und als garstige Diätenritter abqualifiziert) die Stimmchen der Politkaste, die auf die doch nötige demokratische Kontrolle hinweist. Im Ehrenamt ist ernsthafte Kontrollen nur schwer zu machen.

Wie schwer es Ehrenamtlichen fallen kann, auch kleinere Kähne auf Kurs zu halten, zeigt gerade das ärgerliche Beispiel der beim Verein "Deutsch-Amerikanisches Dialogzentrum" von einem Mitarbeiter entwendeten Gelder. Kein Milliardenhaushalt. Nur bummelige 24.000 €. Trotzdem Existenzkrise. Ich wage gar nicht zu sagen, welcher Politikwissenschaftler hier scheinbar nur mäßig kontrollierend im Vorstand saß, als im Laufe der Zeit ein Mitarbeiter ein ganzes Jahresbudget wegschleppte.

Nein, nein. Um mal mit Lenin und der MLPD zu sprechen: Vetrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Teilzeitabgeordnete scheinen mir in Flächenstaaten keine so gute Idee.

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7 Comments:

Anonymous Anonym said...

Zu Marseille: Gegen seine Kliniken bzw. Altenheime ist aber nichts zu sagen.

8:37 PM  
Anonymous Martin Sannen said...

Nur zum Wahlkampf von 2002 für die Schillpartei - da haben Volkes Stimme und MZ aber "funktioniert" und "demaskiert"!

Zum Dialogzentrum, einem der bewährten SPD-Spielfelder in dieser Stadt, fehlt der Mut, Namen und Zusammenhänge zu benennen.

10:27 PM  
Anonymous Anonym said...

Vermute mal zu Letzterem Georg von der G. Oder hat jemand einen anderen Vorschlag?

12:44 AM  
Anonymous Anonym said...

GvdG war nicht im Vorstand. Und laut dem VS-Artikel war es ein ehemaliges Vorstandsmitglied. Außerdem hat das "ehem. Vorstandsmitglied" das Büro besetzt und die Vereinsanschrift ist ein Gebäude der Uni Magdeburg. Tja hier ist der Unhold wohl zu suchen.

10:29 AM  
Anonymous Anonym said...

Also: eins der ehemaligen Vorstandsmitglieder hieß Hieckmann, Dr.
Und Zeit für Büroarbeiten hatte er auch schon eine Weile...


Coo
der hildegunst grüßt

1:54 PM  
Anonymous Anonym said...

Das frühere Büro des Dialogzentrums war gleichzeitig das Büro des Bundestagsabgeordneten Dr. Küster. Und Georg von der G war nicht nur Bürleiter von Küster sondern auch Sprecher des Dialogzentrums. Somit ist der Verdacht des dieser Herr mit der Sache zu tun hat nicht ganz unberechtigt. Gute Recherche ersetzt häufig voreilige Urteile.

4:02 PM  
Blogger Harry Krishna said...

Endlich nimmt mal jemand die aus häßlicher Häme gewachsene Vorfreude des gemeinen Volkes auf ein Teilzeit-Parlament auseinander ... Danke dafür! :)

9:20 PM  

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