Dienstag, Oktober 13, 2009

Jetzt wird´s pfiffig

Sie haben es schon wieder getan. Magdeburg soll seinen Tunnel haben - meinten 27 Stadträte. 26 sahen es anders. 2 hatten keine Meinung, 2 waren nicht da. Die inzwischen traditionsreiche Aufführung hatte etwas von einer Mischung aus Oberammergauer Festspielen und dem Ohnsorgtheater, wenn der Regisseur (wegen verlorener Wette) mit verbundenen Augen Regieanweisungen brüllt. Der Stadtratsvorstand hat noch Reserven in der Optimierung der Versammlungsleitung. Eine gewisse interessante Dynamik war dem Happening aber insgesamt nicht abzusprechen.

Zwei Fraktionen vertraten mehr oder weniger unspektakulär geschlossen ihre jeweilige Meinung, die sie auch bereits vor den Stadtratswahlen in dieser Form verkündet hatten. Aus den Reihen der CDU erscholl 14 mal ein schneidiges JA! Die Grünen konterten 6 mal mit grimmigen NEIN! Beides nicht eben unerwartet.

Schwieriger schon das Bild bei der etwas amorph auftretenden FDP. Während das Kommunalwahlprogramm noch ein NEIN formulierte, sagte die Fraktion nun mehrheitlich JA. Meine Güte, das Wahlprogramm ist ja auch schon ein gutes halbes Jahr alt. Angesichts des Aufwandes den die Liberalen mit ihrem Programm betrieben haben, stellt sich schon etwas die Sinnfrage, wenn man, beim einzigen die Wahlkampfgemüter erregenden Thema, ein paar Wochen später exakt entgegengesetzt entscheidet. (Aber die Steuersenkungen auf Bundesebene kommen doch bestimmt? Nicht wahr? Oder sollten die etwa...?) Also zumindest sahen Gregor Bartelmann, Helmut Hörold und Carola Schumann (alle FDP, alle JA) das eigene Wahlprogramm als nicht eben hilfreich an. Zwei tapfere liberale Nein-Stimmen reichten nicht, das eigene Wahlprogramm umzusetzen. Es hätten drei sein müssen.

Die Linkspartei trat überraschender Weise beinah geschlossen auf - also für ihre Verhältnisse. Neun mal NEIN bei nur drei mal JA (Mario Grünewald, Karin Meinecke, Hilmar Schoenberner) kann man schon als mehrheitliche Entscheidung für eine Position durchgehen lassen. Eine war nicht da. Rosemarie Hein (Linke), frisch direkt gewählte Magdeburger Bundestagsabgeordnete und Tunnelgegnerin, hatte ein total super mega wichtiges Meeting in Berlin. Sie war da, auch für einige Stunden, völlig unabkömmlich - da wären am Ende glatt mehrere Schnittchen gammelig geworden. (Ein wirklich tragischer Fall. Im Leben eines Bundestagsabgeordneten kommt es praktisch nie vor, dass er mal was Entscheidendes für seinen Wahlkreis tun kann. Hier hätte schlichte Anwesenheit genügt. Auf den Ratssaal-Rängen gab es unschöne Wortspiele unter Bezugnahme auf den Kumpel von Käpt´n Blaubär.)

Wenden wir uns dem eigentlichen Schlachtfeld zu. Im Verhältnis zur SPD-Stadtratsfraktion ist die Bundes-SPD ein monolithischer Block. Ja, Nein, Enthaltung, nicht anwesend - alles dabei. Man muss schon staunen, dass bei der Abstimmung nicht noch jemand "ungültig" oder "lebend kriegt ihr mich nicht" gerufen hat. Neunmal Nein vor sechs mal Ja, bei zwei mal Enthaltung und einer Abwesenheit. Am krassesten sind ja genau genommen die Enthaltungen (Martin Danicke und Sven Nordmann). Wenn man bei diesem nun über Jahre durchgehechelten Thema keine Meinung hat, könnte man auf die Frage verfallen, ob die Funktion als Stadtrat wirklich auf die jeweilige Person maßgeschneidert ist. JA sagte auch Lothar Tietge, der als Vertreter der Tierschutzpartei in der SPD-Fraktion aufwachte. Denkt denn niemand an die armen geschundenen Regenwürmer, die bei einem solchen Projekt zu tausenden auf das Schändlichste massakriert werden?

Bliebe noch der Fraktionslose. Matthias Gärtner (NPD) hatte vor der Wahl noch in seiner nur bedingt liebenswerten Art auf die Verschloiderung doitscher Stoiergelder für das Wahnsinnsvorhaben hingewiesen. Wenn ich mich recht erinnere sah die NPD die Baumafia am Werk. Oder waren es ausländische Betondealer? Na so in der Art halt. Diesmal stimmte er mit JA. Nicht mal auf die schlechtesten Populisten kann man sich heute mehr verlassen. Wenn man so will, war seine Stimme die Entscheidende. (Jetzt fangen die schon wieder an Bunker zu bauen!) Zumindest gilt: wenn man sie sich wegdenkt, wäre der Tunnel gescheitert. Nun ja.

Der Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) nahm nach der denkwürdigen Sitzung des Stadtrates ein langes, scheinbar auch ungewöhnlich heißes Bad. Dem MDR gab er dann ein beeindruckendes Interview. Er zeigte sich erschöttert vom ruchlosen Verhalten seiner Fraktion und äußerte sich zufrieden über das Abstimmungsverhalten des NPD-Vertreters. Ob er Gärtner als Ehrenbürger vorschlägt war bei Redaktionsschluss noch offen.

Es folgten die obligatorischen Rückzugsgefechte per Pressemitteilung. Große Form zeigte der Kommentar der Magdeburger Volksstimme. Üblicherweise wird in den Kommentarspalten deutscher Zeitungen eine zuvor berichtete Meldung kommentiert. Daher der Name "Kommentar". Der Volksstimme-Kommentar kommentiert vielversprechend Vergeltungsmaßnahmen gegen Abtrünnige bei SPD und Linke. Jaahaaa. Das will man lesen. Mit allen schmutzigen Details. Aber Fehlanzeige. Außer der Behauptung im Kommentar - keine Infos. Dann gibt der Kommentator noch seiner Hoffnung Ausdruck, dass der Tunnelausgang (eigentlich sind es ja zwei - hoffen wir mal) "städtebaulichen Pfiff" erhält. ....Pfiff?...... Angst geht um. Die planen was mit Pfiff.

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Dienstag, Oktober 06, 2009

Brummi-Duschen-Betreiber drängen in die Innenstadt

Uiuiuiui, da braut sich was zusammen. Am 8.10. will der Stadtrat mal ganz unverfänglich die Tunnelfrage entscheiden. Macht er immer mal wieder gern. Diesmal scheint es aber ernst. Aus Gründen der Vorfreude hatten schon mal einzelne Ausschüsse das Wort. Stadtplanung und Umwelt sagten Nein, der Finanzausschuss war für Ja, das Geld muss ja schließlich unter die Leute.

Die Sinnhaftigkeit des Projektes ist mit der eines Furunkels am Gesäß recht gut umrissen. Eine Brücke zu untertunneln - darauf kommt wirklich nur die Magdeburger Stadtplanung. Auch sonst sind sich Beobachter nicht ganz sicher, ob das wirklich alles ernst gemeint ist. Der ursprüngliche Plan der Stadtverwaltung sah vor, die Straße leistungsfähiger zu machen, also die in Stoßzeiten als Stau empfundene Fahrzeugansammlung vor der Ampel Weinarkade aufzulösen. Lustigerweise herrscht inzwischen Einigkeit, dass das Ziel auch nach 40 Millionen Euro und mehr an Baukosten nicht erreicht wird. Da die Ampel bleibt, weiterhin auch mal Rot zeigt und die Fahrzeuge sich dann eben nur aus der Froschperspektive an pirschen, wird der Stau nicht besser - eher schlimmer. Tatsächlich soll der Tunnel einspurig werden, seine Durchlasszahlen würden daher eher nicht über den heutigen liegen. Mit einer Ausnahme. Der Tunnel ist höher als die jetzige Durchfahrt! (die Stadtverwaltung ist da stolz wie Bolle drauf.) Endlich wird die Innenstadt also für den mautvermeidenden LKW-Verkehr erschlossen! Feinstaub - wir grüßen Dich in unserer Mitte. Lärm? Nur ein Problem für Leute die ihre Hörgeräte an haben. Wer in einer netten Innenstadt einkaufen will, kann doch nach Braunschweig fahren. (Nach Westen hätte der Tunnel auch zwei Fahrspuren!)

Noch unter dem Eindruck der ursprünglichen Idee - also schnellerer Verkehr durch die Innenstadt - plant die Stadtverwaltung weitere große Taten. Vierspurig durch die Innenstadt und Brückfeld in Richtung Berlin. Sinn hat das nicht. Der Durchgangsverkehr gehört eigentlich auf die B 1 und die A 2 - nicht in die Einkaufszone - es sei denn man will 'ne Brummidusche betreiben. Die optische Wirkung der vier Tunnelschneisen und die Unmöglichkeit urbanen Lebens in ihrem Umfeld ist ein Argument, welches verächtlich als städtebaulich-intellektuell abgetan wird. Wenn man in einem Fluchtwagen durch die Magdeburger "Innenstadt" in Richtung einer beliebigen lebbaren Innenstadt andernorts flitzt, kann es einem ja nun wirklich egal sein, ob die verstörten Eingeboren am Rande der Graffiti verzierten Startrampen sich nur am Verkehr ergötzen oder bei all dem Grau(en) ein spontanes Ableben in Erwägung ziehen.

Die Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat sind unsicher. Bei den Fraktionen von SPD und Linken geht die Demarkationslinie mitten hindurch. Die Stadtverwaltung hat sich zwecks Mehrheitsbeschaffung bemüht einen gigantischen juristischen Popanz aufzublasen. Sie behauptet so kühn wie falsch, dass es eine Verpflichtung gebe, beim Neubau der Bahnhofsbrücken die Durchfahrtshöhe deutlich zu erhöhen und begründet damit das Tunnelabenteuer. Da die Ernst-Reuter-Allee, genau wie die Hallische Straße, nach dem gültigen städtischen Verkehrskonzept nur eine städtische Bedeutung haben soll, ist die Erhöhung verkehrstechnisch und juristisch völlig unnötig. Das ist intern auch ziemlich unstrittig. Verwaltungsmitarbeiter die allerdings Gegenteiliges öffentlich behaupten, sollten sich aber schon mal lieber mit neuen spannenden Aufgaben im Bereich der Raumpflege anfreunden. Heißt es. (Für die auch neu zu bauende Brücke Hallische Straße darf man die Unnötigkeit höherer Durchfahrtshöhen auch als Verwaltungsmitarbeiter allerdings gefahrlos äußern. Da wäre die gegenteilige Ansicht - also die Forderung nach einem weiteren Tunnel - ein sicherer Weg, damit die Leute mit diesen Hemden mit den extrem langen Ärmeln gerufen werden.)

Durchgangsstraße oder Innenstadtentwicklung? Selten hat ein Stadtrat mal eine dermaßen klare und wichtige Entscheidung zu treffen. Kann man das versemmeln? Ja - aber man sollte es nicht.

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