Unorthodox
Sind Sie Angehöriger einer Minderheit? Toupetträger, Dieter-Bohlen-Fan, FDP-Wähler, Theatergänger, Blogleser, Rentner .. was auch immer? Nehmen Sie sich in Acht! Derzeit streift der Magdeburger Oberbürgermeister um die Blöcke - immer bereit eine arglos am Wegesrand weidende Minderheit aufzulaschen (Wie der gemeine Magdeburger sagen würde.).
Es fing harmlos an. Zunächst erregte die russisch-orthodoxe-Kirche an sich das grundlegende Missfallen unseres Oberbürgermeisters. Da sie bei der Behandlung ihres Bauanliegens auch selbst ausgesprochen unorthodox verfuhr und auf eine Errichtung der Kirche per göttlichem Wunder zu vertrauen schien, eine eigentlich unverdächtige Reaktion. Nun scheint die Glaubensgemeinschaft jedoch inklusive der nächsten Generationen in städtische Ungnade gefallen zu sein. Eher baut Al Qaida in Magdeburg eine Moschee als dass die Russisch-orthodoxen hier zwei Baumstämme übereinander stapeln.
Überraschender sein beherztes Vorgehen gegen Homosexualität. (Zur Frage der Zulässigkeit von Heterosexualität liegt noch keine abschließende Äußerung vor.) Nicht nur, dass er zum 10. mal die Schirmherrschaft über den Christopher-Street-Day ablehnte - er gab auch - wo es doch das 10. Jubiläum war - deutlich zu verstehen, dass er sich durch diese dauernden nervigen Anfragen diskriminiert fühle. Eine recht unorthodoxe Vorgehensweise, wenn man bedenkt, dass der OB - so wird gemunkelt - der SPD nahe stehen soll, die sich wiederum eher aufgeschlossen darstellt. Andere Städte nutzen kulturelle Veranstaltungen von Schwulen und Lesben geradezu, um sich als tolerant und weltoffen zu präsentieren (Unabhängig davon, ob sie´s tatsächlich sind.) und demonstrieren auch abseits der Niederlegung von Kränzen an Gedenktagen, dass die Stadt, die Mehrheitsgesellschaft und als ihre Verkörperung eben auch ein OB zu ihrer Minderheit stehen - in guten wie in schlechten Tagen. Mit der Ablehnung der CSD-Schirmherrschaft (bei gleichzeitiger Übernahme der Schirmherrschaft für ein Beton(!)bootrennen) hat der Oberbürgermeister ein beeindruckendes Fanal gegen von ihm erkannte sexuelle Irrwege gesetzt, für das sich der Beifall allerdings in sehr engen Grenzen hält.
Jetzt hat der Oberbürgermeister falsch geparkt - er stand auf einem Behinderten-Parkplatz. Das wäre eine Meldung, die nicht ganz die Bedeutung umstürzender Lebensmittelbehältnisse im Fernen Osten erreichte, wenn sie der Oberbürgermeister nicht in prägnanter Weise kommentieren würde. Also zunächst ist es nach seiner Meinung nämlich total unwahrscheinlich, dass sich so spät abends noch Behinderte in der Gegend rumtreiben und am Ende dieselbe Kulturveranstaltung besuchen wie er. Ähm. Tja. Die Ausgangssperre für Behinderte verbirgt sich wohl irgendwo im städtischen Satzungsdschungel. Auch der Oberbürgermeister scheint nach dieser beherzten Ansage noch Platz für Zweifel gesehen zu haben. Er schickt sein städtisches Ordnungsamt ins Rennen. Siehe da! Das vom Oberbürgermeister übersehene Schild war nur ein unverbindlicher Vorschlag der Verwaltung und keinesfalls ernst gemeint. Puh! Da ist der nur kärglich besoldete Oberbürgermeister nur knapp einem drakonischen Bußgeld entgangen. Der aufmerksame Leser wird jetzt interessiert feststellen, dass sich also die städtischen Verkehrsschilder Magdeburgs in zwei Kategorien einteilen lassen: ernstgemeinte und humoristische. Eine bürgenahe Stadtverwaltung würde ja nun einen Stadtplan herausgeben, auf der die humoristischen eingetragen sind. Wie oft hält man sich versehentlich an lediglich aus Schabernack oder ästhetischen Gründen aufgehängte Schilder? Die Leser mit dem ein oder anderen Gebrechen werden sich Fragen, ob die neue Richtung der städtischen Behindertenpolitik für sie weitere Nachteile bringt. Dürfen Behinderte Behindertenparkplätze benutzten? Darf man mit Rollator ins Rathaus? Könnten Hörgeräte oder Brillen das Missfallen städtischer Mitarbeiter erregen?
Statt bei einem so winzig kleinen Verstoß zu sagen: "Sorry, wenn ich Pech habe passiert mir das auch wieder." und das Bussgeldchen zu bezahlen, gelingt es dem Oberbürgermeister die Titelseite zu entern. Beeindruckend effiziente Öffentlichkeitsarbeit.
Derzeit wartet alles gespannt auf die nächste anzugehende Minderheit. Rettungssanitäter? Journalisten? Sozialdemokraten?
Eins ist klar. Als lesbische, russisch-orthodoxe Behinderte sollte man sich eine Einreise nach Magdeburg derzeit gründlich überlegen.