Donnerstag, Oktober 11, 2007

Was sich neckt

Gibt es eigentlich eine noch nervigere Diskussion als diese übliche Ost/West-Kiste? Nein. Sicherlich nicht. Aber sie wird von erstaunlich großen Teilen der Bevölkerung mit Hingabe zelebriert. Franz Kadell, Chef der Magdeburger Volksstimme, hatte die mutige These aufgestellt, dass Ost- und Westdeutsche sich sehr ähnlich seien. Angesichts der Tatsache, dass die Bundesrepublik derzeit von einer bekennenden Ostdeutschen regiert wird, scheint die Vermutung, die Einheit sei weiter als gedacht, auch nicht wirklich abwegig.

Nun verfügen allerdings Ost- wie Westdeutsche auch über eine beträchtliche Anzahl an ausgewachsenen Toffeln. Der Klassenfeind hat da zum Beispiel Dr. Norbert Rosenwick (kühner Weise wohnhaft im Landkreis Stendal) aufzubieten. Der Volksstimmeleserbriefschreiber diagnostiziert doch tatsächlich, dass viele Ossis den Westen als politisches Feindbild sehen und einen trotzigen Minderwertigkeitskomplex hätten. Bei Letzterem hat er unbedingt recht (Zumindest drängt sich dieser Eindruck zwingend auf, wenn man mal mit Olvenstedter Kampfhundebesitzern oder Rentnern aus dem Kroatenweg gesprochen hat.) Allerdings kuschelt er sich dann in eine gemütliche "armer verfolgter Wessi"-Rolle und gleitet in die beliebten Nazivergleiche ab (ach, bei der Gelegenheit aus aktuellem Anlass an Frau Eva Herman hier noch einmal der wichtige, leider bisher nicht gewürdigte Tipp: Hände weg von Nazi-Vergleichen! Das endet immer im Desaster.).

Na, so ein toffeliger Angriff der Imperialisten führt natürlich umgehend zu einem Bündel von Vergeltungsschlägen. Die Leserbriefseite erscheint demnächst als Sonderausgabe. Besonders gelungen ist ja der von Axel Göritz aus Zerbst: DDR = Freunde, Wärme und Zwischenmenschlichkeit (Es sei denn der Nachbar schluderte bei der Treppenreinigung) BRD = bedingungsloses Konkurrenzdenken, Egoismus und Ignoranz. (Genosse Hieckmann sozusagen als rührend um den Klassenstandpunkt seiner Mitarbeiter besorgter Menschenfreund.) Die Welt ist aus Zerbster Sicht sehr übersichtlich.

Martin Schmitz aus Magdeburg weist zunächst begütigend daraufhin, dass er auch schon mal mit netten Wessis zu tun hatte. Die hatten ihm, vermutlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit, verraten, dass der Westen bereits am Ende war ("Wasser bis zum Hals") und nur der Zusammenbruch der DDR das Schlimmste verhinderte. (Herr Schmitz! Sie müssen jetzt tapfer sein! Diese "lieben" Wessis haben sie auf das brutalste verarscht!)

Da man im Ergebnis davon ausgehen kann, dass selbige Leserbriefe (mit umgekehrtem Vorzeichen) auch in der Braunschweiger Zeitung stehen könnten, ist eines mal sicher: Franz Kadell hatte recht! Wir sind uns so ähnlich, dass es einem schon unheimlich wird.

Labels: , ,

Google
 
Web hildegunst.blogspot.com